Das Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Urteil vom 26. April 2023 (VIII ZR 420/21) über das Besichtigungsrecht bei einem geplanten Wohnungsverkauf entschieden. In diesem Fall ging es um die Frage, ob ein Vermieter das Recht hat, die Mietwohnung in Begleitung von Immobilienmaklern und Kaufinteressenten zu besichtigen, wenn der Mieter suizidgefährdet ist. Die Entscheidung wirft wichtige rechtliche Fragen auf, die wir in diesem Blogbeitrag näher beleuchten werden.
Sachverhalt
Die Kläger sind Vermieter, und die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung. Der Mietvertrag enthält eine Klausel, die dem Vermieter das Recht einräumt, die Wohnung zu besichtigen, insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Wohnung. Die Vermieter planten den Verkauf der Wohnung und forderten die Mieterin im Jahr 2019 auf, den Zutritt zur Wohnung zu gewähren. Die Mieterin lehnte dies aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung ab.
Das Amtsgericht Hersbruck entschied zugunsten der Vermieter und verurteilte die Mieterin, den Zutritt zur Wohnung zu gewähren. Das Landgericht Nürnberg-Fürth wies die Klage nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens jedoch ab. Die Revision der Vermieter hatte Erfolg, da das Landgericht das Gutachten nicht vollständig gewürdigt hatte.
Rechtliche Grundlagen
Der BGH stellte zunächst fest, dass es eine vertragliche Nebenpflicht des Mieters gibt, dem Vermieter den Zutritt zur Wohnung zu gewähren, wenn es einen konkreten sachlichen Grund gibt. Dieser Grund kann beispielsweise in der Besichtigung der Wohnung anlässlich ihres geplanten Verkaufs liegen.
Grundrechte und Abwägung
Der BGH betonte, dass das Eigentumsrecht des Vermieters und das Recht des Mieters, in seiner Wohnung "in Ruhe gelassen zu werden", miteinander abgewogen werden müssen. Die Gerichte sind daher gehalten, einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Vertragsparteien zu finden.
Besondere Umstände und Suizidgefahr
Der BGH erkannte an, dass die Interessen des Vermieters an der Besichtigung der Wohnung grundsätzlich überwiegen, da sie das Recht des Vermieters über sein Eigentum frei verfügen zu können, schützen. Allerdings könnten unter besonderen Umständen, wie in diesem Fall, die Interessen des Mieters eine Beschränkung erfahren. Dies kann der Fall sein, wenn der Mieter durch die Besichtigung der Wohnung gesundheitlichen Gefährdungen oder sogar Lebensgefahr ausgesetzt ist, was sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzen würde.
Verfahrensfehler und Zurückverweisung
Der BGH bemängelte, dass das Landgericht das psychiatrische Sachverständigengutachten nicht ausreichend gewürdigt hatte. Insbesondere wurden die Auswirkungen einer Vertretung der Mieterin bei der Wohnungsbesichtigung nicht angemessen berücksichtigt. Daher hob der BGH das Urteil auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück.
Fazit
Dieses Urteil des BGH verdeutlicht die Bedeutung der Abwägung von Grundrechten in Mietverhältnissen. Während das Recht des Vermieters auf Besichtigung seiner Wohnung grundsätzlich geschützt ist, müssen die besonderen Umstände des Einzelfalls, wie die Suizidgefahr des Mieters, sorgfältig geprüft werden. Die Gerichte sind angehalten, die widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien ausgewogen zu berücksichtigen und dabei gegebenenfalls auch Sachverständige hinzuzuziehen. In diesem Fall führte dieser Fehler zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das Landgericht.
Das gesamte Urteil finden Sie hier. In unserer Kanzlei steht Ihnen unsere Fachanwältin für Mietrecht und Wohnungseigentumsrecht Dr. Renate Bens im Mietrecht zur Seite.