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Grob fehlerhafte Sozialauswahl und das Nachschieben von Kündigungsgründen


10.10.2023

Zum Sachverhalt:

Im Mittelpunkt dieses Rechtsstreits stand die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Der Kläger, geboren 1975, verheiratet und mit zwei Kindern, war seit August 1992 als Armaturenschlosser bei der H GmbH beschäftigt. Zusätzlich galt der Kläger als schwerbehindert. Die Insolvenz der Arbeitgeberin wurde eröffnet, und der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Betriebsparteien schlossen einen Interessenausgleich, der die Kündigung von 61 der damals 396 Mitarbeiter vorsah, darunter zwei Mitarbeiter aus der Vergleichsgruppe des Klägers. Nach weiteren Verhandlungen schlossen die Betriebsparteien einen zweiten Interessenausgleich, der die Kündigung aller Arbeitsverhältnisse aufgrund der Betriebsstilllegung zum 31. Mai 2021 vorsah. Die soziale Auswahl wurde als entbehrlich angesehen.

Das Urteil des BAG:

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) fällte ein Urteil, das die Kündigung des Klägers für rechtmäßig erklärte. Das Gericht stellte fest, dass die soziale Auswahl aufgrund der geplanten Stilllegung des gesamten Betriebs nicht entbehrlich war. Dennoch hatte der Fehler im Auswahlverfahren keine Auswirkungen auf das Ergebnis, da der Arbeitgeber eine objektiv vertretbare Auswahl getroffen hatte. Die Kündigung des Klägers war somit nicht grob fehlerhaft. Die BAG-Richter betonten die Möglichkeit des Arbeitgebers, im Prozess nachträglich Sozialdaten vorzulegen, um zu zeigen, dass die Kündigung objektiv vertretbar war, selbst wenn der Arbeitnehmer einen Fehler in der Auswahl rügte. Dieses Vorgehen wurde vom Gericht als zulässig angesehen, da der Arbeitgeber bei der Betriebsratsanhörung oft nicht vorhersehen kann, welche Unwirksamkeitsgründe der Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess geltend machen wird. So bleibt der Arbeitgeber in der Lage, seinen Vortrag entsprechend zu ergänzen, ohne gegen das Betriebsverfassungsrecht zu verstoßen.

Bedeutung für Arbeitsrecht und Praxis:

Dieses BAG-Urteil hat weitreichende Auswirkungen auf das Arbeitsrecht und die Praxis. Es klärt die Frage, ob Arbeitgeber im Nachhinein Sozialdaten vorlegen können, um die Rechtmäßigkeit einer Kündigung zu belegen. Dies bietet Arbeitgebern eine gewisse Flexibilität in Kündigungsschutzprozessen und ermöglicht es ihnen, etwaige Fehler noch zu korrigieren.

Fazit und Ausblick:

Das BAG-Urteil vom 8.12.2022 verdeutlicht die Bedeutung der sozialen Auswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Arbeitgeber sollten sorgfältig prüfen, ob die Kriterien für eine soziale Auswahl erfüllt sind. Gleichzeitig zeigt das Urteil, dass Arbeitgeber im Prozess die Möglichkeit haben, fehlende Informationen nachzureichen, um die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidungen zu belegen.
Das vollständige Urteil finden Sie hier.

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